Eine Rüstung tragen: Leben als asiatische Frau in Deutschland

Jeden Freitag findet in meinem Viertel ein Wochenmarkt statt. Frisches Gemüse, Eier, Fleisch und Fisch – hier kaufe ich meine Lebensmittel für die ganze Woche. Doch zum Metzgerstand gehe ich nicht mehr. Er wird von zwei deutschen Damen mittleren Alters betrieben. Jedes Mal, wenn ich etwas bestelle, schauen sie mich an und verziehen das Gesicht, als könnten sie mein Deutsch einfach nicht verstehen – ganz gleich, wie deutlich ich spreche. Und nicht selten bekam ich zu wenig Wechselgeld zurück.

Dass ich zu wenig Rückgeld bekomme, ist eine Erfahrung, die ich in meinen 20 Jahren in Deutschland immer wieder gemacht habe. Wenn ich sie darauf hinweise, heißt es meistens: „Oh, das war ein Versehen.“ Interessanterweise habe ich noch nie zu viel Wechselgeld erhalten – immer nur zu wenig. Ich frage mich, ob hier vielleicht unbewusste Vorurteile mitspielen.

Ich vermute, dass hinter diesem „Versehen“ ein Stereotyp steht – das Bild der asiatischen Frau als unterwürfig und gehorsam. Man geht davon aus, dass wir nicht protestieren und nichts sagen, selbst wenn uns Unrecht widerfährt. Wenn ich zum Beispiel an der Supermarktkasse warte, kommt es vor, dass sich jemand einfach vordrängelt.

In solchen Situationen sage ich: „Sie haben doch gesehen, dass ich hier stehe. Bitte stellen Sie sich hinten an.“
Na ja – besonders unterwürfig ist das nicht. Ich weigere mich, dieses stereotype Bild von asiatischen Frauen zu bestätigen. Nein, ich bin keine unterwürfige Asiatin.

Was war die Folge? Im Laufe von 20 Jahren habe ich mir ein stärkeres Auftreten angeeignet, um mich nicht ausnutzen zu lassen.

Als ich letztes Jahr Hongkong besuchte, wurde mir bewusst, welche Art von Rüstung ich in Deutschland trage, um mich zu schützen. In Hongkong gehörte ich nicht zur sichtbaren Minderheit. Ich ging in der Menge auf, auch wenn ich dort nur zu Besuch war. Niemand wollte mich ausnutzen, weil ich „anders“ aussah.

Laut Wikipedia machen Asiaten in Deutschland bzw. deutsche Staatsbürger asiatischer Herkunft rund 2,0 Prozent der Bevölkerung aus – bei etwa 83 Millionen Menschen. Einer sichtbaren Minderheit anzugehören, bedeutet oft, mit bestimmten Stereotypen konfrontiert zu werden – bezogen auf Herkunft, Geschlecht und Nationalität.

Und dennoch habe ich auch sehr viel davon profitiert, als Minderheit – insbesondere als Japanerin – in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Die verbreitete Wahrnehmung, dass die japanische Kultur „ganz anders“ und „exotisch“ sei, hat mir geholfen, mich als interkulturelle Beraterin selbstständig zu machen. Mein Anderssein ist hier meine Stärke. Eine Minderheit zu sein, kann von Vorteil sein.

Wie findet man Stärke, wenn man als Minderheit lebt?
Es geht darum, ein gesundes Selbstvertrauen zu entwickeln – und die Rüstung zu tragen, wenn sie nötig ist. Die Rüstung ist hilfreich – sie schützt uns vor pauschalen Urteilen. Genauso wichtig ist es aber, sie ab und zu abzulegen – um durchzuatmen, zu ruhen und einfach zu sein.

Ähnliche Beiträge