Kürzlich wurde ich vom Bayerischen Rundfunk zu einer weltweiten Umfrage interviewt, in der 53 Großstädte nach Lebensqualität für Auswanderer bewertet wurden – unter anderem in Bezug auf Lebenshaltungskosten, Sicherheit, Wohnungssuche, Behördengänge und Willkommenskultur. Bemerkenswert war, dass deutsche Städte wie Berlin (Platz 46), München (50) und Hamburg (52) weit unten rangierten.
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Als jemand, der seit über 20 Jahren in München lebt, wurde ich um meine Sicht als ausländische Langzeitbewohnerin gebeten. Im Fernsehbeitrag wurde jedoch hauptsächlich mein Hinweis gezeigt, dass die direkte, manchmal spröde Art vieler Deutscher – besonders in Bayern – für Neuankömmlinge schnell als Abweisung empfunden werden kann. Meiner Meinung nach liegt die Hauptursache für das „schwerfällige Lebensgefühl“ jedoch tiefer: im regelorientierten Denken.
Neuankömmlinge werden sofort mit einer starren Bürokratie konfrontiert. Schon die Anmeldung des Wohnsitzes erfordert Geduld und viele Unterlagen. Selbst mit Arbeitgeberunterstützung dauert die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht selten 7 bis 12 Monate. Die schleppende Digitalisierung sorgt dafür, dass fast alles noch auf Papier basiert. Währenddessen bleibt man mit einem provisorischen Nachweis oft in einem belastenden Schwebezustand – mit eingeschränkter Reisefreiheit und großem Stresspotenzial.
Das Regeldenken zeigt sich auch im Nahverkehr. Es gibt keine Zugangskontrollen oder Personal – Fahrgäste müssen vorab anhand von Tarifzonen selbstständig den Preis ermitteln und ein Ticket am Automaten kaufen. Das kann selbst für Einheimische herausfordernd sein. Auch mir passierte es, dass ich nach langem Rätseln ein Ticket kaufte, das sich später als minimal zu günstig herausstellte. Obwohl ich die Differenz gerne bezahlt hätte, bestand der Kontrolleur unnachgiebig auf ein volles Bußgeld.
Solche Erlebnisse wirken auf Ausländer oft kalt und wenig menschlich – besonders, wenn man sich sprachlich noch unsicher fühlt. Dabei sind viele Deutsche im persönlichen Umgang durchaus freundlich und hilfsbereit. Vielleicht liegt die Herausforderung für Zugezogene darin, System und Mensch getrennt zu betrachten – und sich mit Offenheit und Flexibilität auf das Leben in Deutschland einzulassen.